“Wir müssen Frauen mehr voranbringen”

Ein Kaiserslauterner Pflegeanbieter zeigt, wie Frauenförderung funktionieren kann.

Vieles hat die Umfrage des Frauennetzwerks TOP-Management Pflege im letzten Sommer zutage gefördert: Etwa, dass Frauen in Kliniken und Heimen nur selten in ihrer Karriereplanung unterstützt, ihnen vielmehr Steine in den Weg gelegt werden. Doch die Studie machte auch auf immerhin einen Arbeitgeber aufmerksam, der etwas anders zu machen scheint: Gezielt gefragt nach Pflegeunternehmen, die Frauen in ihren Ambitionen förderten, herrschte zwar größtenteils Schweigen. Doch eine Wortmeldung gab es doch: Kessler-Handorn, so schrieb jemand, ein lokaler Pflegeverbund aus Kaiserslautern, tue sich hier besonders hervor. 

Zeit für einen Anruf also im südlichen Rheinland-Pfalz. Der Interviewpartner, der uns auf unsere Anfrage hin intern vermittelt wird, ist interessanterweise – ein Mann. Bei einem Pflegeanbieter, dessen Pflegedienste und -stützpunkte laut Website mehrheitlich von Frauen geleitet werden, nun ausgerechnet mit dem einzigen Mann über die hausinterne Frauenförderung zu sprechen, scheint paradox. Dann aber auch wieder: Ist es nicht auch interessant zu hören, wie es sich als Mann mit lauter Frauen in der Leitungsebene arbeitet? „Großartig, ganz großartig!“, ruft er denn auch gleich durchs Telefon – und berichtet:

Tilman Leptihn ist Leiter des Stammhauses der Unternehmensgruppe, eines 130-Betten-Pflegeheims. 150 Mitarbeiter arbeiten hier, nur 20 Prozent davon sind Männer. Alle Leitungspositionen sind – bis auf seine eigene Stelle – mit Frauen besetzt, von der Stationsleitung über die Pflegedienstleitung bis hin zur Wohnbereichsleitung, die wenigen Männer des Hauses finden sich in ausführenden Positionen – also als Pflegefach- oder hilfskräfte. „Selbst unsere Hauswirtschaftshilfskraft ist ein Mann.“

Gesundes und förderndes Firmenmilieu tut Frauen gut

Hinter dieser Geschlechterverteilung verbirgt sich nicht wirklich eine ausgefeilte Strategie oder ein bewusste Anstrengung, Frauen in höhere Positionen zu heben, wie Leptihn erklärt. „Wohl aber ein besonderes Führungsverständnis“, aus dem heraus sich diese Konstellation recht natürlich habe entwickeln können: „Wir leben ein Miteinander auf Augenhöhe, jeder wird angehört, jedem wird Raum zur Eigenentwicklung und für eigene Entscheidungen gegeben.“ In so einem Arbeitsmilieu fühlen sich auch Frauen wohl, trauen sich, nach mehr Qualifikation zu streben, sich intern auf nächsthöhere Stellen zu bewerben. Die Karriereleiter aus Angst oder gar falscher Scham unangetastet lassen? Das gibt es hier nicht.

Unternehmenseigene Bildung bringt Frauen voran

Doch auch Bildung werde bei dem Pflegeanbieter groß geschrieben. So unterstützt das Unternehmen die Karriereplanung seiner Mitarbeiter, stellt regelmäßig in einer Personalbroschüre die wichtigsten Fortbildungsangebote zusammen, weist darin auf innerbetriebliche Seminare ebenso hin wie auf externe Weiterbildungen oder gar Studiengänge. 30 Auszubildende arbeiten derzeit in der Firmengruppe, zu der neben Leptihns Haus noch ein weiteres Pflegeheim mit 60 vollstationären Plätzen, dazu verschiedene mobile Pflegedienste, -stützpunkte und Tagesstätten gehören – alle geführt von Frauen.

Wenn man es genau betrachte, sagt Leptihn, habe sich die Gruppe die meisten seiner heutigen Führungskräfte selbst herangezüchtet. „Die meisten der Führungsfrauen in unserem Unternehmen haben ihren Berufsweg bei uns begonnen: Haben vielleicht als Pflegefachkraft angefangen, vielleicht sogar ihre Ausbildung hier absolviert, und dann Schritt für Schritt – über Fortbildungen, die wir ihnen anbieten – mehr Verantwortung übernommen, bis hin zur Leitungsfunktion.“ So etwa Sofia Burlakow, einstige Pflegefachkraft, die sich zur Pflegedienstleiterin weitergebildet hat und heute einen Wohnbereich leitet. Oder Anna Maria Gagliano, die über das Pflegeheim ein duales Bachelorstudium absolviert hat – ein „anspruchsvolles Studium“, wie sie selber sagt, aber dessen dafür notwendige Arbeit und Engagement von ihrem Arbeitgeber „sehr gewürdigt“ werde. „Aber bitte“, sagt Leptihn, „schreiben Sie unbedingt dazu, dass es neben den diesen beiden Frauen noch viele weitere bei uns gibt, die ihren Berufsweg vorantreiben.“

Auch Mütter können Karriere machen

Für die Mitarbeiter, die Kinder zu versorgen haben, hat die Pflegegruppe eine kostenlose Betreuung eingerichtet; acht bis zehn Kinder werden hier regelmäßig beaufsichtigt, während ihre Mütter und Väter im Pflegeheim arbeiten. Auch auf kindgerechte Arbeitszeiten achten Leptihn und seine Kollegen. „Wenn eine Mutter etwa sagt, sie müsse ab sofort ihr Kind um acht Uhr in die Schule bringen, dann richten wir ihre Arbeitszeiten danach aus.“ Junge Eltern werden außerdem besonders begleitet und beraten, etwa zu Themen wie Mutterpass oder Elterngeld. Das wirke sich sehr wohl auch auf das berufliche Vorankommen jedes einzelnen aus. Leptihn: „Denn wer sich so geschützt und begleitet fühlt, der hat Kraft für den nächsten Karriereschritt, auch mal für eine Fortbildung oder ähnliches.“

Männer ziehen andere Männer nach

Wir konfrontieren Leptihn mit anderen Ergebnissen der „TOP-Management Pflege“-Umfrage, etwa den Äußerungen jener Frauen, die sich beklagen, in ihrem Haus nicht voranzukommen, nicht geschätzt zu werden von der Leitung. Ja, das kenne er gut, sagt Leptihn, das habe er, der seit 43 Jahren in der Pflege arbeitet und erst vor anderthalb Jahren die Stelle in Kaiserslautern angetreten ist, in der Vergangenheit oft erlebt: Männer, die Frauen nicht nach oben lassen, die sich lieber andere Männer an die Seite oder auf die nächst freie Hierarchieebene unter sich holen; „Kettenhunde“ nennt Leptihn die so Protegierten und lässt klar durchscheinen, was er davon hält.

Doch er habe ebenso oft beobachtet, dass Männer selbstbewusster auftreten – oft unabhängig von ihrer Qualifikation oder Eignung. „Die beherrschen das, was ich gern ‘sicheres Auftreten bei gleichzeitiger Ahnungslosigkeit’ nenne; sie präsentieren sich gut – und schon traut man ihnen auch mehr zu.“

Manchmal braucht es eine Strategie

Brauchen Frauen also doch mehr Mut? Oder auch Ansprache von außen? In manchen Einrichtungen müsse das tatsächlich gezielt angegangen werden, sagt Leptihn, der von einer politisch verordneten Frauenquote nicht viel hält. Er habe es selbst erlebt, als er, es ist schon mehrere Jahre her, in einem Pflegeverbund als Fachbereichsleiter Pflege angestellt war. Die Direktionsebene damals: nur Männer, obwohl die Pflegedienstleitungen über Jahre ausschließlich von Frauen besetzt waren. „Diese Frauen, mit ihrer Erfahrung, ihrer Kompetenz, auch in die höchste Ebene zu holen, das war damals mein Anliegen.“ Er sprach es an – und setzte es Schritt für Schritt durch. Noch heute – Leptihn ist längst fort, beobachtet aber die Entwicklungen bei seinem ehemaligen Arbeitgeber aus der Ferne – teilten sich Männer und Frauen die Direktionsposten in diesem Verbund zu gleichen Teilen. Darauf ist er stolz.

Für die Zukunft wünscht er sich, dass auch in anderen Pflegeeinrichtungen Frauen an die Spitze kommen. „Die meisten Pflegefrauen, die ich kenne, sind nicht nur fachlich kompetent und empathisch, sie geben auch hervorragende Führungskräfte ab“, so Leptihn. Und fügt hinzu: „Es wäre einfach schade um sie.“

Text: Romy König

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