„Privatisierung hat dem Standing der Pflege geschadet“
Pflegedirektorinnen und -direktoren sitzen immer seltener in der Geschäftsführung – sehr zum Nachteil für Patienten und Wirtschaftlichkeit, meint Vera Lux, Geschäftsführerin Pflege der MHH.
Die Pflegemanagerin Vera Lux ist lange „im Geschäft“, wie sie es selbst ausdrückt: hatte Führungspositionen an großen Kliniken in Darmstadt und Köln inne, ist heute Geschäftsführerin Pflege der Medizinischen Hochschule Hannover, sitzt im Vorstand der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung. Und sie ist Gründungsmitglied des Netzwerks „TOP Management Pflege“.
Sie sagt: In den obersten Führungsebenen kommt es längst nicht mehr nur auf Fachwissen, Leistung und Fleiß an. Gefragt seien vor allem Einfluss, Dominanz, Selbstbewusstsein. Im Vorfeld des ersten digitalen Netzwerktreffens (24. Juni 2021) hat TOP Management Pflege mit ihr gesprochen.
TOP Management Pflege: Frau Lux, wieviel Macht haben Pflegemanagerinnen in Deutschland?
Vera Lux: Leider recht wenig – und zwar aus folgendem Grund: Seit etwa 20 Jahren erleben wir den Trend, dass Kliniken zunehmend privatisiert werden. Kommunale Krankenhäuser – manchmal auch konfessionelle – werden an private Träger verkauft oder in eine privatrechtliche Gesellschaftsform, in GmbHs, umgewandelt. Was folgt, sind Umstrukturierungen der obersten Leitungen in Einzel- oder Zweiergeschäftsführungen, die durch Kaufleute oder, im letzteren Fall, zusätzlich durch ärztliche Geschäftsführer besetzt werden. Die Pflege, und dies auch erst einmal unabhängig vom Geschlecht, fällt hier zunehmend heraus. Heute haben nur noch wenige Häuser eine pflegerische Geschäftsführung, die Pflegeverantwortlichen rutschen in die zweite Ebene, haben hier weit weniger Macht und Einfluss.
Was macht das mit ihnen?
Es erschwert ihre Arbeit, das Durchsetzen von Ideen und Vorschlägen. Sie müssen sich Informationen umständlicher beschaffen, werden oft nicht mehr zu den wichtigen Sitzungen oder Strategieberatungen eingeladen, sind nicht in den E-Mail-Verteilern, über die die Sitzungsprotokolle ausgesandt werden. Es ist einfach ein Unterschied, ob ich als Pflegemanagerin in der ersten oder der zweiten Reihe sitze. Es gibt Bundesländer, in denen die Pflege per Gesetz im Vorstand einer Uniklinik vertreten ist, teils beratend, teils aber auch mit Stimme – und das ist, das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen, ein ganz anderes Arbeiten als Pflegedirektorin oder Pflegedirektor, als wenn ich aus dem Vorstand ausgeschlossen bleibe.
In Nordrhein-Westfalen hatten Sie als Pflegedirektorin der Uniklinik Köln per Landesgesetz einen stimmberechtigten Platz im Vorstand. In ihrer zehnjährigen Amtszeit haben Sie sehr viel vorangebracht: einen Patienten-Service aufgebaut, ein Patienteninformationszentrum etabliert, neue Personalentwicklungskonzepte aufgestellt, eine Akademie und eine Hebammenschule gegründet und sogar einen Studiengang „Klinische Pflege“, den ersten an einer Medizinischen Fakultät in Nordrhein-Westfalen, etabliert. Hätten Sie das auch alles ohne Ihre Vorstandsposition erreichen können?
Ganz sicher nicht. Es braucht Macht qua Amt, also eine institutionell festgeschriebene Position, um solche großen Projekte durchführen zu können. Nur dann hat man Zugang zu bestimmten Kreisen, ist Mitglied in Gremien, Kommissionen und anderen entscheidenden Strukturen. Deshalb trete ich auch sehr dafür ein, dass Pflege per Krankenhausgesetz in der obersten Führung verankert wird. Es sollte einen gleichberechtigten Vorstand oder Krankenhausleitung geben: Pflege, Medizin, Finanzen – auf Augenhöhe. Natürlich auch, was das Gehalt angeht. Und dafür streite ich sicher nicht aus einem Machthunger heraus, sondern aus Überzeugung, dass eine solche Trias sowohl für die Klinik als auch für den Patienten der bessere Weg ist.
Pflege gehört also in die höchste Leitungsebene – ist es damit getan?
Nein, und jetzt komme ich zu einem zweiten wichtigen Aspekt von Macht. Denn: Macht müssen wir uns auch nehmen, gerade wir Frauen. Macht ist nicht nur – wenn man Glück hat – eine per Amt verliehene Kraft oder Position, sondern hat auch viel mit einem selbst, mit der eigenen Persönlichkeit zu tun.
Wie meinen Sie das?
In meinen Anfängen als Führungskraft habe ich einmal in meiner Position als Pflegedirektorin eine weitreichende und zunächst umstrittene Entscheidung getroffen, die ich dann vor einem ärztlichen Gremium rechtfertigen musste. Da stand ich nun: ich, die Pflegeverantwortliche, eine Frau – vor 23 gestandenen Chefärzten und Professoren – jawohl, damals noch alles Männer. Nun war ich das Verhandeln und den Austausch in der damals noch männerdominierten Krankenhauswelt im Laufe meines beruflichen Weges gewohnt. Aber das war schon eine sehr spezielle, sehr konfrontative Situation.
Lassen Sie mich raten: Auf diese Konferenz haben Sie sich vermutlich extra akribisch vorbereitet, jedes Detail auswendig gelernt …
Das könnte man meinen, oder? Dass es darauf ankommt, nur ja fit zu sein in der Sache, jegliches mögliche Gegenargument schon im Vorfeld zu kennen und parieren zu können, jedes Detail zu wissen. Tatsächlich aber zählt etwas ganz anderes, gerade in der Zusammenarbeit und bei Konflikten mit Männern. Es mag erstaunlich klingen, aber: Männer gehen selten auf die Sachebene. Da sind andere Sachen wichtig. Körperhaltung, Blickkontakt, Gesten, die Sitzposition, lautes Sprechen, ruhig auch mal den anderen zu unterbrechen. Für uns Frauen ist diese Attitüde, dieses Machtgehabe ungewohnt.
Ungewohnt – und für die meisten sicher auch befremdlich. Nun raten Sie doch aber sicher den Frauen nicht dazu, sich ebenfalls auf dieses Level zu begeben?
Zunächst einmal ist es wichtig, bei sich selbst, also authentisch zu bleiben, man kann ja nichts vorspielen, das bringt nichts. Aber doch: Ein Stück weit kann man schon abrücken von der Sachebene, sollte man sich nicht allein darauf verlassen, stets wohl informiert, die Klassenbeste zu sein. Mein Tipp: Die Gesprächspartner gut beobachten. Wie verhalten sich die Personen, die mir gegenübersitzen? Wenn diese nämlich die Sachebene verlassen, hat es gar keinen Sinn, selbst weiter hier zu verharren, um sein Anliegen voranzubringen. Fiesen Angriffen sachlich zu begegnen bringt rein gar nichts, sondern dann gilt es: überheblich auftreten, sich unangreifbar machen, statt Freundlichkeit auch mal etwas bissiger sein und damit die Grenzen abstecken, oder auch eine gewisse Aggressivität aufblitzen zu lassen. Eben das jahrhundertealte Spiel der Macht mitspielen.
Und so lässt sich auch langfristig Macht erarbeiten?
Es ist einfach so: Sei zu nett, zu freundlich, zu lieb – und du wirst unterschätzt. So lässt sich keine Machtposition verteidigen oder gar aufbauen. Etwas mehr Power und Energie im Auftreten würde so manchen weiblichen Führungskräften gut tun, auch und gerade in leitenden Pflegemanagementpositionen.
Und die 23 Chefärzte – konnten Sie die überzeugen?
Aber sicher. Mit guten Argumenten, ja – aber vor allem: mit einer gehörigen Standfestigkeit, einer gesunden Portion Machtbewusstsein – und der wohlportionierten Prise Aggressivität. Es hat niemandem geschadet.
Vera Lux war von 2010 bis 2019 Vorstandsmitglied und Pflegedirektorin an der Universitätsklinik Köln. Zuvor arbeitete sie neun Jahre lang als Pflegedirektorin und Geschäftsführerin einer Servicegesellschaft am Klinikum Darmstadt. Die examinierte Kinderkrankenschwester und ausgebildete Pflegedienstleiterin hatte von 1994 bis 1997 an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden berufsbegleitend Betriebswirtschaft studiert und machte ihren Abschluss als Betriebswirt VWA.
Interview: Romy König
Foto: Karin Kaiser/MHH