„Lasst uns gemeinsam Raum einnehmen!“

Netzwerken hilft der eigenen Karriere, Netzwerken hilft aber auch, das eigene Berufsfeld voranzubringen. Das machte Martina Hasseler beim ersten virtuellen Treffen des Frauennetzwerks TOP Management Pflege Ende Juni klar. Die Pflegewissenschaftlerin ermutigte Frauen dazu, berufliche Beziehungen aufzubauen. „Nur so können wir Raum einnehmen“, sagte sie in ihrer Keynote.

Neulich erst wieder, auf ihrem Social-Media-Kanal: Postings vom Hauptstadtkongress blinkten auf, Bilder, Videoclips, kurze Wortnotizen. „Und was musste ich da sehen? Nur Herren!“, sagte Martina Hasseler beim Auftakttreffen des Netzwerks TOP Management Pflege Ende Juni. Bis auf eine Ausnahme hätten nur männliche Experten auf den Podien des renommierten Gesundheitsevents gesessen – Vertreter von Selbstverwaltungen, Krankenkassen, Politik – und die Zukunft des Gesundheitssystems verhandelt. „Und wo waren wir, die Frauen? Wo waren wir, um die Entwicklung unseres Berufsfelds, der Pflege, zu formen?“

Die Pflegeprofessorin, die am Campus Wolfsburg der Ostfalia Hochschule lehrt und forscht, stört sich schon lange daran, dass die Ausgestaltung der Pflege den Männern überlassen wird. Dass sie es sind, die ein bestimmtes und nicht zuletzt auch bagatellisierendes Narrativ der Pflege zeichneten. „Pflegefrauen, die immerhin 80 Prozent unserer Berufsgruppe ausmachen, werden zu selten gefragt und können sich kein Gehör verschaffen. Das muss sich ändern“, sagte Hasseler in ihrer Keynote auf dem ersten Treffen des Frauennetzwerks TOP Management Pflege.

Erstes Netzwerktreffen von TOP Management Pflege: „Es wird Zeit!“

Die Pflegewissenschaftlerin, die 2020 mit dem Wissenschaftspreis Niedersachsen ausgezeichnet worden ist, begrüßt die Gründung der Community. „Man sollte ja meinen, so ein wichtiges Netzwerk gebe es schon längst – denn es fehlt enorm. Aber umso besser, dass wir nun endlich beginnen, es wird Zeit!“

Das Netzwerk TOP Management Pflege war im Frühjahr 2020 vom Schlüter Verlag und ausgewählten Partnern gegründet worden, um Führungsfrauen in der Pflege einen Ort für Impulse und Erfahrungsaustausch zu bieten. Der Fokus der Community liegt auf Information und gegenseitiger Unterstützung. Fast 250 Frauen hätten sich bislang dazu angemeldet – und täglich würden es mehr, so Kerstin Werner, Mitinitiatorin und Projektmanagerin Pflegemedien bei der Schlüterschen Mediengruppe. Das Online-Netzwerktreffen brachte die Mitglieder nun erstmals zusammen.

Martina Hasseler: „Ohne Netzwerk keine Karriere“

Beim Netzwerken unterscheidet Martina Hasseler zwischen zwei Formen, erklärte sie. So brauchten Frauen ein solches Kontaktgeflecht zum einen auf der persönlichen Ebene, etwa, wenn sie beruflich vorankommen wollen. „Ohne Networking keine Karriere“, machte die Professorin klar. Über Netzwerke würden Frauen sichtbarer, sie könnten sich gegenseitig unterstützen und voranbringen. „Deshalb sollten sie, wenn sie ihre Berufsziele ernsthaft verfolgen wollen, auch an Netzwerktreffen wie dem heutigen teilnehmen.“

Hasseler wies darauf hin, dass der Pflegeberuf zwar mehrheitlich von Frauen ausgeübt werde, die Führungspositionen in dem Sektor aber dennoch zur Hälfte von Männern besetzt seien. Dieses Missverhältnis sei vor allem die Folge eines Ähnlichkeitsprinzips: Männer wählten Männer. Sitzen Männer in den Auswahlgremien, das kenne sie auch aus der Wissenschaft, hieven diese auch Männer in die höheren Positionen. Sie selber sei fast ausnahmslos von Frauen gefördert worden, weshalb sie sich heute auch selbst in Mentorinnenprogrammen engagiere.

Die Pflegewissenschaftlerin sehe täglich, wie Pflegefrauen, ob im Berufsalltag auf den Stationen, in Organisationen oder im Studium, für sich alleine kämpften. Auch hätten viele Frauen immer noch große Probleme damit, ihre Karriereambitionen öffentlich zu machen. Bei Beförderungen zögerten sie, ihren Hut in den Ring zu werfen. „Es wird ihnen aber leichter fallen, wenn sie zuvor ihre Netzwerke entsprechend ausgebildet, sie um sich herum Personen versammelt haben, die ihre Ziele und Ambitionen mitbefördern.“

Verabschieden sollten sich Frauen von der Vorstellung, Networking sei etwas Verwerfliches oder schicke sich nicht. „Natürlich dürfen Frauen berufliche Strategien verfolgen und ihre Kontakte taktisch dafür nutzen“, so Hasseler. „Sie müssen einfach nur Ja dazu sagen, Ja zum Netzwerken.“ Zudem müsse Networking in den Pflegeberufen geübt und trainiert werden, auch dafür eigne sich die Teilnahme an der Community TOP Management Pflege.

Netzwerken, um die Pflege voranzubringen

Doch selbst jene Pflegefachfrauen, die keine Karriere anstreben, die vielleicht auch einfach nur in der Pflege arbeiten wollten, weil sie dies als ihre Berufung sehen, sollten Netzwerken in Betracht ziehen: nämlich dann, wenn sie die Strukturen ihres Berufs verändern, ihren Beruf fördern wollen.

Denn das sei nötig. „Man kann Pflege nicht ohne Politik und nicht ohne das gesamte Gesundheitswesen denken, da sie von diesen Strukturen stark beeinflusst wird.“ Die Männer in den einzelnen Selbstverwaltungen der Gesundheitswelt interessierten sich laut Hasseler kaum für die Anliegen der Pflegeberufe oder der Pflegewissenschaft. „Hier wird viel über Medizin oder das System als solches geredet – aber wenig über interdisziplinäre Gesundheitsversorgung.“ Pflegefrauen sollten deshalb versuchen, gemeinsam etwas zu bewirken. „Auch hier, auf der systemisch-strukturellen Ebene, gilt es, die Pflegeberufe sichtbarer zu machen, und das geht nur über wirklich professionelles Netzwerken“, sagte Hasseler und ergänzt: „Ohne Netzwerk werden wir nicht laut sein können.“

Gemeinsam raus aus der Komfortzone

Hasseler reist viel in Deutschland umher, hält Vorträge vor Verantwortlichen von Pflegeeinrichtungen und Kliniken. Ein ums andere Mal passiere es, dass hinterher Zuhörer auf sie zukommen und sagen, wie interessant ihre Ausführungen zur nötigen Stärkung des Pflegeberufs und zum Mehrwert der Pflege doch seien. „Und dann ergänzen diese Leute: Aber wir hier machen erst einmal so weiter wie bisher.“ Das ärgere sie und zeige ihr, wie wichtig es sei, gemeinsam die Stimme zu erheben.

„Wir müssen uns bemerkbar machen und zusammen Raum einnehmen“, sagte sie den online zugeschalteten TOP-Management-Netzwerkfrauen. Auch wenn das bedeute, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten. „Man macht sich nicht immer Freunde mit Einflussnahme und Netzwerkarbeit, aber das Ziel ist es wert.“

Eben jenes Ziel hat Martina Hasseler schon klar vor Augen. Irgendwann, so wünscht sich die Pflegeexpertin, sollen die Leute nach ihren Vorträgen zu ihr kommen und sagen: Wir haben es endlich erkannt, wir machen nicht so weiter, wir ändern etwas. Hasseler: „Dann wäre doch schon viel gewonnen.“

Weitere Informationen:

Das erste Treffen des Frauennetzwerks TOP Management Pflege fand am 24. Juni 2021 pandemiebedingt per Online-Konferenz statt. Weitere Veranstaltungen sind derzeit in Planung. Zudem präsentieren sich die Akteure des Frauennetzwerks beim Deutschen Pflegetag am 14. und 15. Oktober 2021 in Berlin. Terminunabhängig können sich die Netzwerkerinnen jederzeit im geschützten Mitgliederbereich der Community austauschen: https://www.topfrauen-netzwerk.de

Text: Romy König

Bild: Nadezda Grapes – stock.adobe.com

Über Martina Hasseler

Die examinierte Krankenschwester (53) ist Professorin für Klinische Pflege (Schwerpunkte: Pflegewissenschaft, Gesundheitswissenschaft, Gerontologie , Rehabilitation) an der Fakultät Gesundheitswesen, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Campus Wolfsburg. Erst kürzlich, im November hat das Land Niedersachsen ihr den Wissenschaftspreis Niedersachsen für ihre pflegewissenschaftliche Arbeit verliehen.    

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