“Ich glaube, die Mütter hierzulande stehen vor der Herausforderung, die aktive Rolle des Vaters anzunehmen”
Am 11. August wurde der “Tag der Söhne und Töchter” gefeiert. Einer diesen kuriosen Feiertage, von dem niemand weiß, wer ihn ins Leben gerufen hat. Für Juliane Annussek, Mitglied im Frauennetzwerk TOP-Management Pflege, ist aber jeder Tag der Söhne und Töchter, denn die Chefin der MHH-Bildungsakademie Pflege hat vier Kinder und einen Vollzeit-Job.
Sie sind Chefin der MHH- Bildungsakademie Pflege – ein Fulltime-Job. Und sie haben vier Kinder. Wie schaffen Sie diese doppelte Herausforderung?
… indem man einen Partner hat, der einen zu 100 Prozent unterstützt. Mein Mann ist Lehrer und arbeitet wegen Corona zur Zeit viel von zuhause aus. Aber auch ohne Krise fühlt sich mein Mann genau so für die Kinderbetreuung verantwortlich wie ich. Wir organisieren unser Leben fifty fifty.
Dass beide Eltern arbeiten ist ja in vielen europäischen Ländern gang und gäbe. In Deutschland dagegen sind berufstätige Mütter zuweilen dem Vorwurf der ‚Rabenmutter’ ausgesetzt.
Ich glaube, die Mütter hierzulande stehen vor der Herausforderung, die aktive Rolle des Vaters anzunehmen, zu erkennen, dass der Partner die Kinderbetreuung gut meistert, anders vielleicht aber toll. Außerdem sollten sie nicht darüber nachdenken, was andere Mütter von ihrer Berufstätigkeit halten. Und wie geht es einer Frau, die man zwingt Hausfrau zu sein? Nicht sie selbst zu sein? Ich glaube nicht, dass das gut ist für die Kinder. Für die ganze Familie ist es doch besser, wirkliche ‚Quality Time‘ am Abend nach der Kita oder am Wochenende zu verbringen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Im Moment fahre ich jeden Tag ins Büro, um einen Rechner zuhause frei zu machen. Sonst wäre unser W-LAN – Netz durch Homeschooling ständig überlastet.
Doch wann und wo ich arbeite, bleibt mir überlassen. Zusammen mit meinem Team haben wir die technischen Möglichkeiten geschaffen, flexibel von überall aus zu arbeiten. Eine Stempelkarte gibt es bei uns nicht. Wie haben sehr gute und hoch motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und wenn das Pensum mal unter der Woche nicht geschafft wird, arbeitet man eben auch mal am Wochenende. Allerdings ist dies stets freiwillig und wird keinesfalls von den Mitarbeitern erwartet.
Was sagt Ihr Arbeitgeber dazu?
Die MHH stand flexiblen Arbeitszeitmodellen schon immer positiv gegenüber. Als ich vor vielen Jahren anfing, dachte ich zuerst, es ist vielleicht besser, mit 20 Prozent Wochenarbeitszeit zu starten. Ich hatte Sorge, wegen der Kinder zu viele Fehlzeiten anzuhäufen. Doch bald stellte sich heraus, dass es für die MHH kein Problem ist, auch von zuhause aus den Job zu erledigen. Und so halte ich es heute auch mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn das Kind krank ist, reicht eine kurze Info und die MitarbeiterInnen gehen nach Hause.
Wir leben hier das Arbeitszeitmodell des Vertrauens. Vertrauen motiviert nicht nur, es bindet auch die Teammitglieder langfristig an das Unternehmen.
Wäre das flexible Vertrauensmodell Vorbild für die Pflegeteams in Kliniken?
Prinzipiell glaube ich, dass flexible, auf die Bedürfnisse von Müttern und Vätern organisierte Arbeitszeit durchaus auch in Kliniken möglich ist. Wenn eine Mutter ihr Kind zwei Mal die Woche um acht Uhr in die Kita bringen muss, kann das Pflegeteam die erste Zeit der Frühschicht ab 7:15 übernehmen.
Die Frage ist weniger die Machbarkeit als vielmehr die Bereitschaft und innere Haltung. Für solche individuellen Modell bedarf es eben einer starken Führungskraft, die das Team auch auf diesem Weg der individuellen Zeitgestaltung mitnimmt. Häufig ist eine solche Flexibilität nur die Antwort auf vorübergehende zeitliche Engpässe. Nach ein zwei Jahren wollen die Mütter und Väter wieder in den normalen Arbeitsrhythmus und sind dann herzlich willkommen. Wenn man dies als Team erkennt, schafft man es tolle Mitarbeiter dauerhaft an das eigene Unternehmen zu binden.
Zur Person

Juliane Annussek ist eine TOP-Frau, Mutter von vier Kindern und Chefin der MHH- Bildungsakademie Pflege. Die MHH ist eine der Gründungspartnerinnen des Frauennetzwerkes TOP-Management Pflege .
Das Interview führte Karoline Amon